Interview
Fortunat Frölich – 2019 Preisträger mit seinen Kompositionen «I vain prümavaira» und «Nots»
  • Was hat Sie animiert am Kompositionswettbewerb des FCR 2019 teilzunehmen? Das umfangreiche romanische Liedgut ist ein enorm wertvolles Kulturgut. Das ist ein Reichtum, der auch verpflichtet. Vor ein paar Jahren wurde deshalb der Verein «La chanzun rumantscha», gegründet. Die Initianten haben richtig erkannt, dass das Pflegen des bestehenden Liedschatzes nur die eine Seite der Verpflichtung gegenüber dem Kulturgut abdeckt, die andere Seite besteht darin, das romanischen Liedgut auch zu erweitern und zu erneuern. Nur ein lebendiges Kulturgut kann langfristig bestehen. Die Entscheidung, ein regelmässig stattfindendes Festival mit einem Kompositionswettbewerb zu gründen, halte ich deshalb für sehr richtig und wichtig. Ich finde es auch gut, dass der Wettbewerb nicht ausschliesslich unter Romanen ausgetragen wird, sondern offen ist für jeden Komponisten, der sich dafür interessiert. Für mich war es klar, dass ich da mitmachen würde. Ich bin zwar kein Romane, aber mit der romanischen Sprache und Kultur und Region seit früher Kindheit bekannt und vertraut.
  • Eines Ihrer Lieder ist «I vain prümavaira», nach einem Text von Luisa Famos – der andere Text stammt von Rut Plouda. Was hat Ihnen an diesen besonders gefallen?Oh - ich bin heikel mit Texten! Ich kann und will nur Texte vertonen, die mich überzeugen. Luisa Famos hat wenig geschrieben, aber viele ihrer wenigen Texte hauen mich einfach um. Ihre einfache, direkte, ungeschminkte und unprätentiöse Art, wie sie die einfachsten Dinge der Welt beschreibt, haben für mich eine ungeheure Kraft. Ich habe schon einige Texte von ihr vertont. Den Text von Rut Plouda habe ich gewählt, weil er für mich geradezu nach Musik schreit - i da nots....die Verschiedenheit der nächtlichen Stimmungen, die Rut Plouda beschreibt, musikalisch nachzuzeichnen und auszumalen, ist ein "gefundenes Fressen" für einen Komponisten.
  • Wie kam dann die Inspiration für die Melodien? Wie haben sich die Kompositionen entwickelt? Die Texte haben mich ganz direkt inspiriert. Ich habe von der Stimme aus komponiert, also einfach angefangen, die Texte vor mich hin zu trällern. Eigentlich habe ich den Melodiefluss aus der Sprachmelodie entwickelt. Wenn Sie sagen: "il sulai ria" haben Sie schon einen Rhythmus und wegen der Betonung auf "ria" auch schon einen lauteren und höheren Ton. Das musikalische Motiv des Liedes übernimmt 1:1 den Sprachrhythmus und setzt die betonte Silbe auf die Quarte. "il sulai ria" wird zu dododo fado......Wenn man das Wort ria schnell wiederholt klingt es von alleine fast wie ein Lachen, vor allem wenn man es auf verschiedene (Kinder-)Stimmen überträgt... und so entwickelt sich das Abenteuer des Komponierens von selber... es ist eigentlich keine Kunst (grinst).
  • Als Ihre Lieder das erste Mal von einem Chor gesungen wurde, was ist in Ihnen vorgegangen, waren sie zufrieden? Ich nenne das "die Hochzeit", wenn ein Werk zum ersten Mal einstudiert und aufgeführt wird. Wenn du zum Beispiel vor einer Première oder einer ersten Probe in den Orchesterraum kommst und hörst, wie die Musiker einzelne Passagen üben, die bisher nur in deinem Kopf existierten, wenn du realisierst, dass hier deine Gedanken sozusagen materialisiert werden, auf die Welt kommen... das ist etwas vom Erregendsten was ich kenne. Beim Wettbewerb in Trun hörte ich allerdings keine Probe, sondern direkt die Konzertpräsentation. Auf dem hohen Niveau, wie dies geschah, war das eine grosse Freude.
  • Wie haben Sie berücksichtigt, dass diese Kompositionen auch für Laienchöre gedacht sind. Die (beschränkten) Möglichkeiten der Laienchöre war in einer Diskussionsrunde der von «La chanzun rumantscha», eingeladenen Komponisten und Dirigenten ein gewichtiges Thema. Ich musste da einfach für die neue Musik Stellung beziehen, denn mir reicht das rein dur-/moll-diatonale (sprich: traditionelle) Tonmaterial einfach nicht mehr aus, um meine Gefühle und Gedanken musikalisch auszudrücken. Wir haben in der Diskussionsrunde festgestellt, dass zuerst einmal die Chordirigenten ihre Angst vor neuen Tönen überwinden müssten, bevor die Chöre sich auf neuere Klänge einlassen. Der Bündner Kantonalgesangsverband hat daraufhin sogar einen Kurs für Chordirigenten ausgeschrieben, in welchem einige neue Kompositionen erlernt wurden und gezeigt wurde, wie man sich mit neuerem Tonmaterial vertraut machen kann. Aber leider wurde der Kurs nur von wenigen Dirigenten besucht. Das Interesse vieler Chordirigenten scheint sich immer noch auf rein traditionelle Kompositionen zu beschränken. Dabei wäre die Auseinandersetzung mit neuen Kompositionen für eine Chorszene, wie sie die Rumantschia besitzt, eine enorme Chance. Ich habe das in Lettland erlebt, wie Chöre und Komponisten sich gegenseitig zu Spitzenleistungen sowohl in der Komposition wie in der Interpretation anspornen. Aber zurück zu Ihrer Frage - natürlich weiss ich, was singbar ist und wo das Niveau eines Laienchores zurzeit etwa steht. Schliesslich habe ich selbst Gesang studiert, in vielen Chören gesungen und viele Chöre dirigiert. 
  • Haben sie Reaktionen der Autorin Rut Plouda erhalten – und von Chören, die diese zwei Lieder in ihr Repertoire aufgenommen haben?Ja, Rut Plouda hat mir geschrieben und sich bedankt. Ich habe mich dann natürlich umgehend bei Ihr rückbedankt. Von Chören, die diese Lieder in ihr Programm aufgenommen haben, weiss ich bis jetzt leider noch nichts, aber dass das Ensemble Pi-cant mein Lied noch an weiteren Konzerten aufgeführt hat, freut mich. Die Kompositionen können übrigens kostenlos auf der Webseite der Edition Bündner Komponisten heruntergeladen werden.
  • Wenn Sie auf diesen Kompositionswettbewerb zurückblicken, was für eine Erfahrung war es für Sie? Ich finde das einfach fantastisch, dass die Rumantschia diesen enormen kulturellen Zusammenhalt hat. Der Anlass war ausgebucht bis auf den letzten Platz. Alle waren da - und Trun liegt nun ja nicht gerade verkehrszentral. Dass ich in zwei Kategorien den ersten Preis errang  war eine grosse Überraschung. Ich wusste nur, dass zwei meiner eingereichten Stücke vorgetragen würden, nicht aber, dass diese bereits prämiert waren. Ich halte das Prämierungsverfahren des Wettbewerbs für klug. Die eingereichten Kompositionen werden von einer Fachjury bewertet, aber es wird vom Publikum auch noch ein Publikumsliebling erkoren. Ich denke, dass dies dann die Lieder sind, die am schnellsten ins Repertoire der romanischen Chöre einfliessen werden. Aber es ist schon gut, dass die Prämierung nicht ausschliesslich dem Publikumsgeschmack überlassen wird. Ich freue mich auf das nächste Festival in Zuoz und hoffe sehr, dass das allgemeine coronabedingte Singverbot bald aufgehoben wird und die Chöre endlich wieder singen dürfen.
Persönlich
Der Churer Fortunat Frölich (67) ist einer der bekanntesten Schweizer Musiker, Sänger, Komponisten und Dirigenten. Seine Studien hat er an den Konservatorien in Zürich, Napoli und an der Musikhochschule in Leipzig absolviert. Als Cellist und Sänger hat er bei vielen Orchestern, Ensembles und vielen Projekten mitgewirkt, unter anderem bei der Kammerphilharmonie Graubünden und im Zürcher Opernhaus. Als Dirigent und Komponist mit dem Sinfonieorchester Basel, Hamburger Symphoniker, Bohuslav Martinu Philharmonie Zlin, Opernhaus Biel/Solothurn, Karlovivary Symphony Orchestra, Sinfonietta Lausanne, basel sinfonietta, Orchestra Filarmonica di Torino, Zürcher Kammerorchester, Ensemble Resonanz Hamburg, The North of England Chamber Orchestra, Ensemble Phoenix, Casal Quartett, Basler Madrigalisten. Eine seiner Passionen ist die interkulturelle Zusammenarbeit, mit Chören aus der Schweiz und aus Nordafrika.